Region

Wie geht’s unserer Jugend?

Der dorfblitz widmet sich einer Altersgruppe, die sonst in den Medien meist nur vorkommt, wenn etwas schiefläuft – Beispiel Jugendgewalt oder Vandalismus. Wie haben die Jugendlichen die Pandemie verdaut, wie geht es ihnen in diesen unruhigen Zeiten, und was wünschen sie sich in ihren Wohngemeinden?

Sie sind unsere Zukunft: Jugendliche aus der Region. Die hier Modell stehenden Jugendlichen des Jugi 51 in Nürensdorf sind nicht identisch mit den im Text erwähnten. (zvg)

Pandemie, Krieg, Klimawandel, Soziale Medien: Es sind Zeiten grosser Veränderungen, in denen heutige Jugendliche heranwachsen. Die gute Nachricht vorneweg: Den meisten befragten Jugendlichen geht es «gut bis sehr gut». Daneben gibt es aber viele, die mit sich und ihrem Umfeld kämpfen. «Die heutige Welt ist komplex und globale Krisen omnipräsent», sagt Moritz Wey, Leiter Jugendarbeit in Bassersdorf. Dies färbe auf die Psyche der Jugendlichen ab: «Trotz hohem Lebensstandard und guten Bildungschancen sind Stress und Druck bei unseren Jugendlichen ein Thema.»

Stressfaktor Schule

Nino Che Ala, Leiter der Jugendarbeit Nürensdorf, bestätigt dies. «Rund 40 Prozent der Jugendlichen gaben in unserer Umfrage an, sehr häufig oder häufig gestresst zu sein.» Auffällig verschlechtert hat sich dabei die Kategorie jener Jugendlicher, die sagen, es ginge ihnen sehr schlecht: nämlich von vier auf zwölf Prozent. Stressfaktor Nummer eins ist aber nicht das Weltgeschehen, sondern die Schule. «Dort habe ich viel Stress», sagt ein 15-Jähriger aus Nürensdorf stellvertretend für fast alle befragten Jugendlichen. «Schlechte Noten» nennt auch der 15-jährige Louis aus Birchwil als grössten Stressfaktor, und die 16-jährige Leonie aus Brütten führt «Prüfungsphasen und die damit verbundene Müdigkeit» an. Die Umfrage, welche die Jugendarbeit Nürensdorf vor einem Monat durchgeführt hat, bekräftigt diese Aussagen: Rund 57 Prozent der Teilnehmenden im Schulhaus Hatzenbühl gaben die Schule als häufigsten Stressbereich an.
Weitere Stressfaktoren sind laut dieser Umfrage die Familie mit rund 17 Prozent und der Sport mit rund 11 Prozent. Dies deckt sich mit den Aussagen der vom dorfblitz befragten Jugendlichen: «Manchmal habe ich Stress mit meiner Familie oder sorge mich um geliebte Personen», erzählt eine weitere 15-Jährige aus Brütten. Der 14-jährige Fynn aus Nürensdorf berichtet, dass es ihm während der Trennung seiner Eltern «nicht so gut» gegangen sei. Und Louis gibt preis, dass es ihn stresse, zu verlieren.

«Die Angst, den Idealen nicht zu entsprechen, hat sich verstärkt.»

Moritz Wey, Jugendarbeit Bassersdorf

Zweifel an sich selbst

Als zusätzlichen Stressfaktor nennt eine 15-Jährige «die Selbstzweifel». Ein Grund für dieses verstärkt auftretende Phänomen sind die sozialen Medien. «Die Angst, den Idealen nicht zu entsprechen, hat sich angesichts der Fülle an täglich konsumiertem Content verstärkt», erklärt Moritz Wey von der Jugendarbeit Bassersdorf. Dazu kommt: «Die beruflichen und gesellschaftlichen Anforderungen sind gestiegen», so Wey. Die Jugendlichen fürchten, nicht zu genügen. Dieses Gefühl wird insbesondere bei der Lehrstellensuche auf eine harte Probe gestellt. Ein 15-Jähriger erzählt, wie er bei seinen beiden «Traumgaragen» eine Absage erhalten habe. «Natürlich gibt es weitere Möglichkeiten», weiss er, «aber es beschäftigt mich schon, dass ich nicht meinen Traumberuf lernen kann.»

Angst vor Entscheidungen

Das breite Spektrum an Möglichkeiten macht es für Jugendliche nicht einfacher. «In unserer schnelllebigen und reizüberfluteten Zeit ist es anspruchsvoller geworden, ein Ziel zu finden und dieses nicht aus den Augen zu verlieren», erklärt Wey. Dieser Weg zum Ziel ist mit vielen Entscheidungen gepflastert – was die Heranwachsenden zusätzlich unter Druck setzt. Mehrere erwähnen ihre «Angst, falsche Entscheidungen zu treffen» und sich so «die Zukunft zu verbauen».
Neben der Versagensangst plagen sich die Jugendlichen mit diversen Ängsten herum. «Ich habe Angst vor dem dritten Weltkrieg oder einer Pandemie», sagt einer. Eine Jugendliche bekennt, dass sie deswegen «einfach keine Nachrichten mehr schaue». Fynn findet KI (Künstliche Intelligenz) «einerseits cool, andererseits aber auch sehr beängstigend». Ein 15-Jähriger gibt «Angst vor der Menschheit» zu Protokoll: «Es gibt so richtig, richtig kranke Menschen. Ich habe Angst davor, was Menschen alles machen können.» Daneben geben aber auch einige Jugendliche an, «vor gar nichts Angst zu haben».

Folgen der Pandemie

Den grossen globalen Aufreger der vergangenen Jahre scheinen die Jugendlichen gut weggesteckt zu haben. «Bei mir hat Corona keine Spuren hinterlassen», sagt Leonie. Einige Jugendliche antworten, dass ihre Väter dank Corona mehr Homeoffice machen würden, was «eine gute Sache» sei. Ein 14-Jähriger berichtet, er habe in der Coronazeit angefangen, mehr via Handy zu kommunizieren; dieses Online-Chatting habe er beibehalten. Diese Entwicklung bestätigt Ala von der Jugendarbeit Nürensdorf: «Seit der Pandemie verbringen die Jugendlichen mehr Zeit im digitalen Raum.» Wey berichtet gar von Bildschirmzeiten von über zehn Stunden täglich.

Dass die Jugendlichen die Pandemie so scheinbar mühelos überwunden haben, erstaunt die Fachleute nicht: «Die meisten Jugendlichen sind sehr anpassungsfähig», erklärt Wey. «Darum hat dieser Ausnahmezustand viele nicht sonderlich beeindruckt.» Aber, fügt er an, es gebe eine kleine Gruppe von bereits Benachteiligten, die dafür umso härter getroffen worden seien. «Zuhause festsitzen, wenn Gewalt an der Tagesordnung ist, oder monatelanges Homeschooling ohne Unterstützung von zuhause – das hat die Schwierigkeiten dieser Jugendlichen enorm verschärft.» Die Jugendarbeit Bassersdorf sei mit Jugendlichen in Kontakt, die seither als Schulversager gelten. Psychische Belastungen würden entsprechend öfter verzeichnet.

Vandalismus aus Frust

Wenn die Jugendlichen im öffentlichen Raum auffallen, dann manchmal im Zusammenhang mit Vandalismus und Schmierereien. Laut einer Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW gaben 15 Prozent der Jugendlichen an, schon einmal mutwillig etwas beschädigt zu haben; 9 Prozent verrieten, Graffiti gesprayt zu haben. Darauf angesprochen betonen aber die meisten Jugendlichen, sie würden so etwas nicht tun. «Wir sind halt oft draussen und wenn etwas kaputt geht, fällt es gleich auf uns zurück. Aber ich oder meine Gruppe machen nichts extra kaputt», betont ein 14-Jähriger. Eine 15-Jährige bekennt: «Ich war schon dabei, aber habe selbst nichts kaputt gemacht.» Ein anderer bestätigt, dass die «Graffiti-Szene» sehr verbreitet sei: «Jeder möchte ein bisschen ‹umme tägge› und denkt, er ist cool, wenn er das macht.» Er selbst habe zuhause schon geübt, aber draussen noch nie gesprayt. Nach den Gründen gefragt, antworten sie mit Gegenfragen: «Aus Langeweile? Oder zum Spass? Oder als Rebellion?» Einer sagt: «Ich denke, die tun das, weil sie Probleme haben und ihre Aggressionen rauslassen müssen.»

Ala ortet in diesem Bereich Handlungsbedarf für die Jugendarbeit: «Wir müssen einerseits die Jugendlichen aufklären und ihnen aufzeigen, dass dieses Verhalten schwere Folgen – etwa hohe Kosten – haben kann.» Andererseits gelte es, ihre Bedürfnisse hinter ihrem Verhalten zu verstehen. Auch Wey deutet solche Taten als eine Art Hilfeschrei, entweder «Mit mir stimmt was nicht» oder «Mit dieser Welt stimmt was nicht». Hier könne die Jugendarbeit präventiv wirken. Möglich sei, ihnen die Gelegenheit zu geben, in legalem Rahmen ein Graffiti zu machen. Oder ihnen zu helfen, eine Ausbildung zu finden, die passe und mit Wertschätzung verbunden sei.

«Kinder und Jugendliche sind die Zukunft jeder Gesellschaft. Daher gilt es in diese zu investieren»

Nino Che Ala, Jugendarbeit Nürensdorf

Investition in die Zukunft

Generell verweisen beide Fachleute auf die Wichtigkeit der Jugendarbeit. «Die Kinder- und Jugendförderung ist ein wichtiger Bestandteil zur Stärkung der psychischen Gesundheit», so Ala. Dem pflichtet Wey bei: «Die Jugendarbeit schafft Räume für das non-formale Lernen.» Denn auch ausserhalb der Schule bräuchten die Jugendlichen Räume aller Art für ihre Entwicklung. «Dörfer und Städte sind oft so gestaltet, dass die Bedürfnisse der Erwachsenen berücksichtigt sind. Tatsächlich sind es aber die Jugendlichen, die sich am meisten im öffentlichen Raum aufhalten», so Wey.
Entsprechend fallen die Wünsche der Jugendlichen an ihre Wohngemeinden aus: Ein «chliises Pärkli zum Herumhängen» wäre richtig cool, findet ein Nürensdorfer. Lobend erwähnt wird das Jugi: «Wenn es das Jugi nicht gäbe, würde ich mir das Jugi wünschen», sagt einer. Ein anderer fände es schön, wenn das Jugi auch am Samstag geöffnet hätte. Die Jugendarbeiter können diese Anliegen bestens nachvollziehen. Nur: «Jugendarbeit braucht Geld», gibt Wey zu bedenken. Sein Berufskollege des Jugi Nürensdorf pflichtet ihm bei: «Kinder und Jugendliche sind die Zukunft jeder Gesellschaft. Daher gilt es in diese zu investieren», sagt Ala.

So funktioniert die lokale Jugendarbeit

Alle dorfblitz-Gemeinden bieten Angebote im Bereich der Jugendarbeit an. Zu den Angeboten in Bassersdorf gehören der Jugendtreff JAM, die aufsuchende Jugendarbeit, der Midnight Ball Basi sowie diverse Angebote, etwa ein Treff nur für weibliche Jugendliche, weil Angebote sonst vorwiegend von männlichen Jugendlichen genutzt würden. In Nürensdorf wird die Jugendarbeit von der Plattform Glattal geleitet. Zu den diversen Angeboten gehören etwa der Treff Jugi 51 an der Hatzenbühlstrasse 51, gemeinsames Kochen, eine offene Turnhalle, ein Anti-Litteringprojekt oder der «Wunschtig». Nürensdorf ist ab der Oberstufe auch für die Jugendlichen aus Brütten zuständig. Für die Mittelstufe bietet Brütten mittwochs den Jugendtreff «Jugendnetzwerk8311» an. Seit August ist neu Mirta Honegger als Leiterin Jugendtreff zuständig. (bg)

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