Nürensdorf

«Aufgeben ist keine Option»

Der Abenteurer Fabian Illi aus Birchwil erreichte zu Fuss alle Kantons-Höhepunkte in 76 Tagen und hatte dabei einige Schwierigkeiten zu überwinden.

Auch das Finsteraarhorn (4274 m.ü.M) erreichte der Birchwiler Abenteurer Fabian Illi. (zvg)

Fabian Illi, Sie haben für den vergangenen Sommer bei Ihrem Arbeitgeber zwölf Wochen unbezahlten Urlaub eingereicht, um in dieser Zeit jeweils den höchsten Punkt in jedem Kanton zu besteigen. Wie kam es zu dieser Idee?
Ganz genau weiss ich das gar nicht mehr. Ich treibe Velosport und bin vor sieben Jahren mit meinem Velo bis ans Nordkap gefahren. Auch damals hatte ich zwölf Wochen Urlaub, schaffte es aber dann in acht Wochen. Ich wusste, ich würde ein solches Abenteuer nochmals durchführen, jedoch zu Fuss. Irgendwann entschied ich mich für die Entdeckung der Kantonsgipfel. Die Wege dazwischen sollten jedoch auch zu Fuss gemacht werden. Zuerst wusste ich nicht, ob das rein von den Distanzen her realistisch sein würde. Vor fünf Jahren habe ich dann mit der Planung begonnen. Also, wo sind die Gipfel, wie hoch sind sie, in welcher Reihenfolge könnte man sie verbinden? Mögliche umsetzbare Distanzen habe ich pro Tag mit 23 Kilometer im Flachland und im Alpenraum dann 18 Kilometer geschätzt. Schlussendlich stimmte es im Flachland ziemlich gut, aber in den Bergen hatte ich mich verschätzt und musste jeweils rund 20 Prozent mehr gehen als geplant. Mit der Detailplanung habe ich mir dann Zeit gelassen, so dass es immer konkreter wurde.

Wie sah Ihre Planung bezüglich der Ausrüstung aus, wussten Sie genau, was Sie mitnehmen sollten?
Ich unternehme seit 15 Jahren gerne Bergtouren, hauptsächlich mit meinem Bruder Roland und hatte deshalb bereits einige Erfahrung. Möglichst wenig, möglichst leicht und auf das Minimum reduziert sollte das Equipment sein.
Wie viele Kilometer haben Sie total zu Fuss hinter sich gelegt?
Es waren dann zum Schluss 1745 Kilometer in 76 Tagen.

Unter den Kantonshöhepunkten sind bekannte Gipfel wie der Tödi, die Dufourspitze, das Finsteraarhorn oder der Piz Bernina. Der Tödi ist stark vergletschert und nur schwer zugänglich, die Dufourspitze ist der höchste Gipfel überhaupt im deutschsprachigen Raum. Wie haben Sie solche körperlichen Strapazen vorbereitet?
Grosse Probleme technischer Natur gab es bei diesen Gipfeln eigentlich nicht. Bei drei Bergtouren hatte ich einen Bergführer dabei (Dufourspitze, Finsteraarhorn, Piz Bernina).

Ist es also ratsam, einen Bergführer zu engagieren?
Theoretisch hätte ich das auch mit Roland machen können. Der war aber zeitlich nicht verfügbar. Ich habe auch schon gewisse Kurse in diesem Bereich absolviert, so hätte ich das grundsätzlich sogar auch allein machen können. Der Piz Bernina Biancograt war aber die anspruchsvollste Tour. Die Nacht davor schläft man sicher ruhiger, wenn man weiss, ein Bergführer ist dabei. Zudem ist man mit ihm ein wenig schneller unterwegs, weil er natürlich die perfekte Route kennt. Es ist halt grundsätzlich entspannter, auch weil man ein bisschen Verantwortung abgeben kann. Die Tödi-Tour habe ich mit meinem Bruder Simon gemacht, da hatte ich gerade auch bei der Planung natürlich die volle Verantwortung. Dass alles geklappt hat, hat uns beide ungemein gefreut.

Schweissen solche Erlebnisse Sie und Ihre Brüder noch mehr zusammen?
Ich würde schon sagen, ja. Es hat auch immer Spass gemacht, sowohl mit dem älteren, als auch mit dem jüngeren Bruder unterwegs zu sein.

Wo haben Sie jeweils übernachtet?
Im Mittelland meistens in Hotels oder ‹Bed and Breakfast›, auch Airbnb. Im Alpenraum dann eher in SAC-Hütten. Das Zelt hatte ich gar nicht dabei, damit mehr Platz für alles andere war. Auf dem Schnebelhorn, das ich mir als letzten Gipfel aufgespart hatte, habe ich mit einem Kollegen im Schlafsack im Freien übernachtet. Danach gings in einem Tag nach Hause zurück. Für mich als Zürcher auf meinem Lieblingshügel ein richtiges Abschluss-Highlight.

Hatten Sie während dieser Zeit Kontakt mit Zuhause?
Ich hatte bis vor dieser Tour gar kein mobiles Telefon. Aber natürlich war es dann nötig, auch wegen der ganzen Planung unterwegs. Also das Organisieren von Unterkünften oder Vereinbarungen mit Bergführern und dergleichen wie auch für die Wetterprognosen. Und klar, so klappte auch die Kommunikation mit der Familie zuhause. Meine Mutter zum Beispiel war erstaunlich entspannt und zeigte das – falls sie sich Sorgen machte – zumindest nicht so deutlich. In ungefähr der Hälfte der Zeit habe ich sie in Zermatt getroffen, wo wir eine kleine Ferienwohnung haben. Ich war also nicht über die ganze Zeit völlig für mich allein. Manchmal haben mich auf einigen Touren auch Kollegen begleitet oder eben mein Bruder Simon.

Also haben Sie sich nie allein gefühlt?
Doch, ich war dennoch sehr viel allein unterwegs und fühlte mich manchmal sogar einsam. Nicht Heimgehen, das gefällt mir ohnehin. Aber am Abend im Hotel war es schon nicht immer so lustig, allein am Tisch zu sitzen. Zwölf kantonale Höhepunkte von 26 habe ich nicht allein gemacht, sondern mit Bruder, Bergführer oder Kollegen.

Entstanden auch Kontakte zu anderen Abenteurern oder Bergsteigern?
In den SAC-Hütten hat man natürlich immer Kontakt zu anderen. Sehr oft hatte ich mit sehr netten und interessanten Menschen einen guten Austausch. Zum Teil habe ich auch andere Leute getroffen, die auch jeden Kantons-Höhepunkt besteigen wollten, allerdings nicht in einem Stück.

Reichte die zur Verfügung stehende Zeit von zwölf Wochen?
Eigentlich war es ein bisschen knapp. Ich war von Anfang an immer ein wenig im Rückstand auf meinen Zeitplan. Das grösste Problem war, dass ich kurz vor Abreise eine Sehnenentzündung im Fuss hatte. Trotz Therapie, dehnen, schonen, bereitete mir diese etliche Probleme. Ich startete also schon eine Woche später als geplant und nahm die ersten Tage sehr vorsichtig unter die Füsse.

Belastet das auch, wenn man das Gefühl hat, im Zeit-Rückstand zu sein?
Ja, natürlich. Lange hatte ich den Gedanken, den Kanton Genf ganz wegzulassen. Zu diesem Kantonshöhepunkt ist es von Neuenburg aus sehr weit zu gehen, rund 180 Kilometer. Und auch nicht so interessant. Anschliessend muss man auch wieder zurück Richtung Fribourg, das ist nochmals eine grosse Distanz. Es belastete mich auch mental. Aber nach Besteigung des Chasseral im Berner Jura lief es plötzlich richtig gut, so dass ich auch Genf in Angriff nehmen konnte. Der Körper kam dann so richtig in Gang.

Gab es noch andere Momente, als ein Scheitern drohte?
Auch der Piz Bernina stand lange auf der Kippe, gegen Schluss. Die Distanz aus dem Tessin war schon mal sehr weit. Dann wusste ich auch, dass es schwierig wird, einen Bergführer zu finden. Diesen Sommer waren eigentlich alle Bergführer extrem ausgebucht. Und ich konnte nicht allzu lange im Voraus planen. Die Kurzfristigkeit machte es deshalb zusätzlich schwierig. Auch mental war ich irgendwie nicht mehr ganz so motiviert, den Bernina in Angriff zu nehmen. Trotzdem habe ich mich noch umentschieden und schlussendlich alle geschafft.

«Ich würde sagen, es ist wohl mehr als die Hälfte der ganzen Geschichte, die mental gesteuert ist.»

Fabian Illi, Birchwil

Ist ein solches Vorhaben nicht auch eine mentale Sache?
Ja, ich würde sogar sagen, es ist wohl mehr als die Hälfte der ganzen Geschichte, die mental gesteuert ist. Klar muss die körperliche Voraussetzung gegeben sein. Für mich persönlich war die mentale Seite viel schwieriger. Am Anfang wegen des Fusses, der so Probleme bereitete und trotzdem durfte ich nicht immer an ihn denken. Dann auch die zum Teil weiten Distanzen, die vor mir lagen oder wenn das Wetter nicht mitspielte.
Manchmal hatte ich auch Mühe, wenn ich nach einer schönen Tour auf der nächsten dann völlig allein unterwegs war.

Aber aufgeben war nie eine Option, oder?
Nein, wenn ich auch zu Beginn nicht ganz daran geglaubt habe, dass ich es schaffen werde. Ich liess mir die Option zwar offen, aufzugeben. Ich wusste ja, auch wenn nicht alle 26 Gipfel zu schaffen sind, ist es nicht allzu schlimm, ich habe trotzdem viel erreicht. Auch zum Beispiel in den Zug zu steigen, um zur nächsten Station zu gelangen, war für mich keine Option. Das hätte mein Projekt irgendwie gestört, wenn nicht sogar kaputt gemacht. Lieber hätte ich einen Berg weggelassen, als in den Zug zu steigen. Ich kann halt nicht gut aufgeben.

Wo lagen die grössten Schwierigkeiten?
Neben der Sehnengeschichte sicher immer wieder die Suche nach einem Bergführer. Einmal wurde auch ein gebuchter Führer am Vortag krank. Nur mit viel Glück und Zufall konnte ich mit einer anderen Seilschaft mitgehen.

Was hat rückblickend diese Herausforderung allgemein bei Ihnen ausgelöst?
Ich bin eine Person, die viel allein ist. Aber wenn man so lange unterwegs ist, muss man sich trotzdem zuerst daran gewöhnen. Grundsätzlich kann ich aber gut mit mir allein sein. Als ich jedoch den Tödi mit meinem Bruder bestiegen hatte und er sich mit dem Zug auf den Rückweg machte, hatte ich plötzlich so richtig Heimweh, nach acht oder neun Wochen. Ich war den Tränen nah. Das sind auch Erfahrungen, die ich nicht missen möchte.

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