Wind vertikal ernten
In Brütten testet ein Start-Up Unternehmen seine neuste Technologie: Ein Windrad mit vertikal angeordneten Rotorblättern anstelle der bekannten dreiflügligen Windräder. Sie versprechen sich davon mehr Sicherheit für Vögel sowie eine bessere optische Integration der Baute in die Umgebung.
Nachdem Brütten vom Kanton als möglicher Standort für Windenergie auserkoren wurde und sich in der Vernehmlassung dagegen wehrt, steht jetzt seit rund einem Monat ein spezielles Windrad am Sigilochweg auf der Wiese. Es handelt sich bei diesem Windrad um eine Testanlage für eine neuartige Windturbine des Start-Ups Agile Wind Power AG aus Dübendorf. Auffällig sind die drei vertikal angeordneten Rotorblätter bei dieser Windturbine. Ebenso sind sie nicht derart lang wie bei den herkömmlichen Windrädern, welche heutzutage bereits in der Landschaft sichtbar sind. Der Name des Produktes «Vertical Sky» unterstreicht dies zusätzlich.
Kommerzielle Stromerzeugung
Die Firma Agile Wind Power AG spricht von einer Weltpremiere: eine vertikale Windturbine, welche rund ein Megawatt Strom erzeugen soll und für Gewerbe und Industrie gedacht ist, gäbe es heute noch nicht, sagt Laurenz Zellweger, Head of Communications. Zusätzlich kann die rund 23 Meter hohe Anlage für die Stromerzeugung vor Ort eingesetzt werden, also beispielsweise bei Kläranlagen oder direkt im Industriegebiet nahe einer Firma, welche einen hohen Strombedarf aufweist. Sie ist nicht für einen Windpark gedacht.
In Brütten konnte die Firma den Standort am Sigilochweg übernehmen, an dem bereits früher ein kleineres Windrad stand. Sie testet nun intensiv die gesamte Anlagenssteuerung. Eine Neuheit, die jedoch technisch anspruchsvoll ist und an der bisherige Installationen und Versuche mit der vertikalen Anordnung der Rotorblätter scheiterten. «Bisher konnte man die Einstellung der Rotorblätter für die optimale Lage im Windfluss nicht steuern, so dass es eine hohe Drehgeschwindigkeit brauchte, die zu grossen Belastungen führte», erklärt Laurenz Zellweger. «Unsere Firma hat nun eine elektromagnetische Steuerung entwickelt, die dazu dient, die Rotorblätter immer optimal zum Wind stehend auszurichten und so auch bei langsamer Drehung genügend Energie zu ernten.» Der Vorteil davon: die Rotorblätter können langsamer drehen und die Lärm-Emmissionen verringern sich.
«Durch die aktive Steuerung der Rotorblätter können wir die Rotoren langsamer drehen lassen, was die Emmissionen bezüglich Lärm verringert.»
Kritische Haltung
Die Lärm-Emmissionen der Windräder sind bei vielen Installationen ein Problem, welches die Bevölkerung gegen die Windkraft ins Feld führt. Zwar hat die Bevölkerung die Windenergienutzung 2017 mit der nationalen Energiestrategie 2050 an der Urne angenommen, aber dennoch werden viele Projekte bei der Eingabe der Baubewilligung dann doch mit Einsprachen bekämpft. So geschehen auch in Brütten, als Landwirt Beat Morf anfangs 2020 ein dreirotoriges Windrad auf seinem Land für die Energienutzung plante. Rekordverdächtige 31 Baurechtsentscheide wurden angefordert – darunter auch vom Heimatschutz und Pro Natura. Wie die Bauabteilung dannzumal sagte, hätten nur Handyantennen ebenso viele Gegner. Am Ende zog Beat Morf sein Gesuch zurück, zu aufwändig waren auch die Vorgaben des Kantons, der bezüglich der Landwirtschaftszone die Hoheit hat. Er wollte von Morf eine genaue Untersuchung über die ortsansässigen Fledermäuse – darunter das Tier des Jahres 2012, das Braune Langohr –, von welchem in seinem Gebiet anscheinend Exemplare heimisch waren. Diese Untersuchung hätte Morf über ein spezialisiertes Büro erstellen lassen müssen, was ihn vom Projekt abgehalten hat. Mit den laufend ändernden Strompreisen und Rückvergütungen waren es am Ende zu viele Unsicherheiten, erklärt Beat Morf.
Dezimierte Vogelarten
Der Gefahr der Kollision von Vögeln und Fledermäusen mit Windenergieanlagen (WEA) und die damit einhergehenden Lebensraumveränderungen durch den Betrieb, die Installationen und Zufahrtsstrassen sowie der laufende Unterhalt an den Anlagen gehören zu den grössten Kritikpunkten der Nutzung von Windenergie. Sollten Fledermäuse Opfer der Rotoren werden, könnte ihre lange Lebenszeit von rund 30 Jahren und ihre geringe Reproduktionsrate mit durchschnittlich einem Jungen pro Jahr langfristig negative Auswirkung auf deren Bestände haben. Dazu gibt es beim BAFU – Bundesamt für Umwelt – eine Liste weiterer geschützter Tierarten, bei denen Windenergieanlagen einen Einfluss auf deren Vorkommen nehmen könnten.
Desweitern ist die nächtliche Beleuchtung der Windräder ein weiterer negativer Faktor, jedoch für die Luftfahrt entscheidend, was in der dorfblitz-Region definitiv ein Thema ist. Weitere Interessenskonflikte orten Naturschutzorganisationen bei der Standortwahl der Windräder. Die Vogelwarte Sempach beispielsweise zitiert Studien, in denen Windparks im Wald aufgrund der nachhaltigen Habitatänderung einerseits durch die Windströmung, andererseits durch die störenden Zu- und Wegfahrten, die vorher nicht waren, «besonders nachhaltige Beeinträchtigungen der Vogelwelt darstellen und vermieden werden sollten», wie sie ausdrücklich warnen.
Biodiversität versus Energiegewinnung
Dieses Argument hat der Gemeinderat Brütten bei seiner Vernehmlassungsantwort an Regierungsrat Martin Neukom zu möglichen Standorten von Windenergieanlagen auf dem Chomberg ins Feld geführt. «… Zudem sind im erwähnten Abschnitt auch diverse seltene Insekten, Fledermäuse und Säugetiere angesiedelt», erklärt der Gemeinderat in seinem Schreiben. Momentan schafft der Kanton Zürich die planerischen Voraussetzungen für die Nutzung der Windenergie und prüft Eignungsgebiete – sogenannte Potenzialgebiete – für die Windenergienutzung, die im kantonalen Richtplan eingetragen werden sollen. Auf Brüttener Gemeindegebiet wurden zwei Potenzialgebiete als mögliche Standorte eruiert. Diese Standortsuche ist eingebettet in die Gesamtüberarbeitung des Richtplankapitels Energie.
Merkblätter vorhanden
Vom Gesetzgeber sind einige Merkblätter und Leitfäden erhältlich. Sie beschäftigen sich mit verschiedenen Aspekten der Windenergieanlagen. Neben den Vögeln sind auch der Bodenschutz, Blendwirkungen und Reflexionen bei der Sonneneinstrahlung auf Rotorblätter, der Schattenwurf grösserer Anlagen sowie Zivilluftfahrtaspekte alles Themen, welche bei den Baubewilligungen von den Gemeinden respektive dem Kanton als Bewilligungsinstanzen beachtet werden müssen.
Langsamer drehen
Die Agile Wind Power AG versucht bei ihrer neuen Anlage, solchen Aspekten Rechnung zu tragen. Laurenz Zellweger sagt dazu: «Durch die aktive Steuerung der Rotorblätter können wir die Rotoren langsamer drehen lassen, was die Emmissionen bezüglich Lärm verringert.» Auch seien durch das Drehen um die vertikale Drehachse anscheinend die Anlagen für Vögel besser sichtbar. «Es ist wie der Effekt eines Karussells: es bleibt immer als Form sichtbar.»
Grundsätzlich sieht Laurenz Zellweger die Anwendung dieser «Vertical Sky»-Räder klar im Business-to-Business-Bereich: «Private brauchen kein Megawatt Leistung, das sind Industrieunternehmen mit hohem Strombedarf oder Gemeinden mit Kläranlagen.» Die Anordnung als vertikales Windrad braucht weniger Raum und lässt solche Anlagen direkt an Standorten installieren, die bisher grossen Windrädern verwehrt blieben. «Mit den vertikalen Linien sind unsere Anlagen in Industriegebieten mit meistens grossen Gebäuden mit Hallen weniger auffällig», sagt Zellweger. «Durch die vertikale Anordnung können wir unsere Anlagen näher zu den Gebäuden hin aufstellen. Da sie rund dreimal leiser sind als klassische Windturbinen, stören sie in Industriegebieten kaum jemanden.»
Dezentrale Stromproduktion
Laurenz Zellweger ist überzeugt davon, dass beide Windradtypen ihre Berechtigung haben und abhängig seien vom Standort und der Energieausbeute, die man damit erreiche. «Am Ende ist es immer auch eine Frage der Wirtschaftlichkeit. Unsere Windräder produzieren Strom, der etwas teurer ist als der von grossen Windfarmen. Für ein Unternehmen lohnt sich der Einsatz je nach Standort nach zirka vier bis sechs Jahren.»
Er plädiert stark für eine dezentrale Produktion der Energie. Je nach Standort seien verschiedene Methoden der Energiegewinnung besser und ergänzten sich: Beispielsweise Sonnenenergie, Wasserkraft oder eben Windenergie. «Mit unseren Windrädern können wir hier einen wertvollen Beitrag leisten zu einer dezentralen Produktion, weil unsere Windräder eben durch den verringerten Einfluss auf die Umgebung variabler eingesetzt werden können.»
Ein Anstoss für Betriebe oder Gemeinden kann sein, ihre Energiekosten und ihren CO2-Abdruck zu reduzieren. Im Moment werden fleissig Daten gesammelt durch das in Brütten stehende Windrad «Vertical Sky», um möglichst bald auf dem Markt präsent zu sein.