Region

Hausärztemangel bereitet Bauchweh

Der schweizweite Rückgang an Hausärzten trifft auch die «dorfblitz»-Gemeinden, besonders Nürensdorf und Brütten. In Bassersdorf hingegen hat sich die Situation entspannt.

Der Hausärztemangel betrifft alle Gemeinden. (depositphotos)

Wieder schliesst eine Hausarztpraxis, wieder steht ein Dorf ohne Hausarzt da: Schweizweit häufen sich solche Schlagzeilen, obwohl der Hausärztemangel sich schon vor zwei Jahrzehnten abgezeichnet hatte. Das Problem: Die Babyboomer-Generation geht in Rente, der Nachwuchs fehlt.

Seit der dorfblitz vor drei Jahren eine Umfrage bei den lokalen Ärztinnen und Ärzten durchgeführt hat, hat sich die Situation auch hier weiter verschlimmert, sagen die Ärzte Franz Baumann aus Brütten sowie Paul Heller und Remy Bürki aus Nürensdorf. «Jeder vierte Arzt ist über 60 Jahre alt», zitiert Heller eine Statistik der Ärztestandesorganisation FMH.

«Die jungen Ärzte wollen nur Teilzeit und angestellt arbeiten.»

Franz Baumann, Brütten

Rund jeder siebte praktizierende Hausarzt ist gemäss dieser Statistik sogar über 65 Jahre alt. Oft arbeiten Hausärzte über das Pensionsalter hinaus, weil sie keinen Nachfolger finden. Auch in Brütten müssen sich die Patienten voraussichtlich einen neuen Hausarzt suchen, wenn Franz Baumann aufhört. «Hier wird es keinen Nachfolger geben», bedauert er, «die jungen Ärzte wollen nur Teilzeit und angestellt arbeiten.» Immerhin hat Baumann derzeit noch freie Kapazitäten, wenn auch nur saisonal.

Anders sieht das bereits seit Jahren in der Praxis Heller in Nürensdorf aus. «Wir nehmen leider schon lange keine neuen Patienten mehr auf», bedauert Praxisinhaber Paul Heller. Er betreut rund 1600 Patienten pro Jahr, wovon die meisten aus Nürensdorf sind. Auch die «Huusarztpraxis Nüeri» von Remy Bürki hat keine Kapazitäten mehr. Wer neu nach Nürensdorf zieht und sich hier einen Hausarzt sucht, steht also bereits jetzt vor dem Problem, dem sich voraussichtlich auch die Brüttener dereinst stellen müssen: Im eigenen Wohnort gibt es keinen Hausarzt oder keinen mit freien Kapazitäten.

In Bassersdorf, dem mit rund 12 000 Einwohnern grössten Ort der dorfblitz-Gemeinden, scheint das Thema Hausärztemangel weniger akut zu sein. «Im Vergleich zu anderen Gemeinden ist die Situation bei uns glücklicherweise nicht angespannt», bestätigt Nicolas Felber, Abteilungsleiter Soziales + Alter. Hausarzt Urs Zehnder von der «Praxis am Chreisel» unterschreibt dies: «Aus meiner Sicht ist die Situation in etwa stabil geblieben.»

Praxis P11 mit Kinderärztinnen

Mit der vor einem Jahr gegründeten Praxis P11 hat Bassersdorf zudem eine neue Hausarztpraxis mit zwei Ärzten und neu sogar zwei Kinderärztinnen. Noch offen ist in Bassersdorf, wie sich die beiden geplanten Projekte für Wohnen im Alter – das Zentrum Oase und das Projekt im Zentrum – auf die Hausarzt-Situation auswirken. «Entscheidend hier ist, ob die Wohnungen von Einheimischen oder Auswärtigen belegt werden, und ob diese weiterhin von ihrem Hausarzt betreut werden», erklärt Felber.

Ausländer stopfen Löcher

Letzteres setzt voraus, dass es bis dann noch genügend Hausärzte gibt. Doch eben – eine Trendwende zeichnet sich kaum ab. «Der Mangel an ärztlichem Nachwuchs bereitet uns grosse Sorgen», so Zehnder. Momentan importiere die Schweiz einen Drittel der Ärzte aus dem Ausland, sonst würden nämlich noch mehr Ärzte fehlen. «Das darf einfach nicht sein», kritisiert Zehnder.

«Ich verbringe jede Woche 12 bis 13 Stunden mit Büroarbeit.»

Paul Heller, Nürensdorf

Bauchweh macht den Hausärzten die stetig wachsende Büroarbeit. «Administration, Auflagen, Regulierungen, Datenschutz, Arbeitsrecht – all das nimmt zu viel Zeit ein», kritisiert Franz Baumann. Paul Heller bestätigt das: «Ich verbringe jede Woche 12 bis 13 Stunden mit Büroarbeit – diese Zeit fehlt am Patienten.» Von der Politik wünscht er sich darum weniger bürokratische Zwänge. «Der zunehmende Verwaltungsaufwand verschärft den Ärztemangel zusätzlich», mahnt er. Remy Bürki geht ins Detail: «Die bürokratische Überregulierung erschwert uns Hausärzten das Leben teils sehr.» Und trotz Teuerung sei der Taxpunktwert in vielen Fällen statt nach oben nach unten korrigiert worden. Resultat: Mehr Arbeit bei sinkendem Lohn.

«Die bürokratische Überregulierung erschwert uns Hausärzten das Leben teils sehr.»

Remy Bürki, Nürensdorf

Jahrelang Menschen begleiten

Trotz dieser Entwicklungen und dem Arbeitsdruck: Bei allen befragten Hausärzten fällt auf, dass sie ihre Arbeit eigentlich gern machen. «Ich bin sehr gerne Hausarzt und schätze vor allem den Kontakt mit unseren Patienten sehr», sagt etwa Paul Heller stellvertretend für seine Kolleginnen und Kollegen. Und Remy Bürki ergänzt: «Die Hausarztmedizin ist äusserst abwechslungsreich und lebt von Beziehungen. Im Idealfall kann ich mehrere Generationen einer Familie über Jahre in allen Facetten des Lebens begleiten.»

Keiner der Ärzte hat vor, den Bettel vorschnell hinzuwerfen. Im Gegenteil. Urs Zehnder etwa sagt klar: «An Pensionierung denken wir noch nicht.» Und trotz Arbeitsdruck nehmen sie sich die Zeit, die Fragen des dorfblitz sorgfältig zu beantworten. Einer meldet sich aus seinen Ferien, und ein anderer schickt die Antworten nachts um Viertel nach 1 Uhr zurück. Am nächsten Morgen um acht Uhr stand er wieder in seiner Praxis und tat das, was er eigentlich am liebsten macht: Leuten helfen.

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