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Drohnenflüge retten Rehkitze

Jedes Jahr werden im Frühling beim Mähen die unbeweglich im Gras liegenden Rehkitze übersehen und erleiden einen furchtbaren Tod im Mähwerk einer landwirtschaftlichen Maschine. Mit Drohnenflügen will die landwirtschaftliche Genossenschaft Brütten die Rehkitze vor dem Mähen aufspüren und in Sicherheit bringen.

Bereit für den Ersteinsatz auf dem Feld: die Drohne mit ihren Piloten (v.l.) Ueli Wintsch, Jagdgesellschaft Brütten, Christian Wyss und Ueli Künzi, Landwirtschaftliche Genos­senschaft Brütten. (sg)

Ein grauenhaftes Szenario, das jedes Jahr unzählige Rehkitze ihr Leben kostet: Die kleinen Rehkitze liegen bewegungslos im ungemähten Gras, sind unsichtbar für den Bauern, der mit der Mähmaschine sein Gras einbringen will. Zu spät sieht er das kleine Tier, welches noch keinen Fluchtinstinkt hat. Das Kitz gerät in das Mähwerk, die Folge ist grosses Tierleiden, sterben sie doch oft erst nach qualvollem Todeskampf mit abgetrennten Läufen oder schwersten Schnittverletzungen. Diesem Szenario wollen die landwirtschaftliche Genossenschaft und die Jagdgesellschaft Brütten nun einen Riegel schieben. Bereits auf die letzte Saison hin hat sich die landwirtschaftliche Genossenschaft Brütten (LGB), der rund 20 Bauern angehören, eine Drohne aus dem Genossenschaftsvermögen angeschafft. Bald hatten sie bemerkt, dass der Kauf der Drohne nur ein kleiner Teil der ganzen Arbeit ist, so dass der erste Rettungsflug nun diesen Frühling stattfinden wird.

Wärmebildsensoren erkennen Lebewesen

Die Drohne fliegt die zu mähenden Wiesen in fixen Bahnen ab – überlappend, so dass den montierten Wärmebildsensoren kein Rehkitz verloren geht. Beim Überfliegen des Feldes werden die Kitze aufgrund ihrer Körpertemperatur geortet und auf einem Bildschirm am Boden als helle Flecken in der ansonsten dunklen Wiese dargestellt.
Die gleichzeitig gespeicherte Position der Drohne wird ebenfalls angezeigt, so dass die Helfer den Standort des Rehkitzes schnell finden können.

Wichtig ist für die Helfer, das Rehkitz nicht mit blossen Händen zu berühren, denn die Mutter könnte sich am Menschengeruch stören, und für Fressfeinde wären die Kitze nicht mehr geruchlos. Daher wird das Rehkitz mit einer Kiste zugedeckt und an einen sicheren Ort gebracht. Nach dem Mähen kann das Rehkitz wieder freigelassen werden. Die Mutter sucht ihre Kitze am Abend auch am Wiesen- oder Waldrand auf, um sie zu säugen und führt sie dann zumeist in ein neues Versteck.

Wohlfühlset gekauft

Die Rehkitzrettung ist ein aufwändiges Unterfangen, da mindestens zwei Personen anwesend sein müssen. Auf dem Acker von Bauer Ueli Künzi im Brüttener Buchsächer finden die ersten Testflüge mit der gekauften Drohne statt. «Man sieht die Rehkitze wirklich nicht im Gras liegen beim Mähen», sagt Ueli Künzi und ist froh, dass die LGB mit einer so modernen Möglichkeit nun diesem grausamen Tod ein Ende setzen will. «Wir haben uns informiert, wieviel eine handelsübliche Drohne und eine zusätzliche Wärmebildkamera kosten. Sehr schnell haben wir aber gemerkt, dass es doch viel mehr zu beachten gilt, als zwei Einzelteile zu kaufen», erzählt Künzi lachend. «Daraufhin sind wir auf den gemeinnüt­zigen Verein ‹Rehkitzrettung Schweiz› gestossen, der für uns ein idealer Partner ist.»

Vorarbeit so wichtig wie fliegen

Der Verein «Rehkitzrettung Schweiz», gegründet 2017, bietet Kurse an, wie man mit den Drohnen auf Suche nach den Rehkitzen gehen kann. Für das laufende Jahr sind bereits alle Kurse ausgebucht. Christian Wyss von der LGB und Ueli Wintsch von der Jagdgesellschaft Brütten haben beide einen solchen Kurs besucht und sind des Lobes voll. «Es ist nicht nur ein bisschen fliegen und gut ist es», erklärt Christian Wyss. «Die Vorarbeit im PC mit dem Aufnehmen der verschiedenen Feldstandorte und Geländebegebenheiten ebenso wie Masten oder sonstige Hindernisse sind für den Erfolg genauso wichtig wie das eigentliche Fliegen», sagt er. So habe sich ein Mitarbeiter der Rehkitzrettung die Lage in Brütten genau angesehen und anschliessend eine geeignete Drohne empfohlen. «Es war schnell klar, dass wir für grössere Landparzellen wegen der längeren Flugzeit auch mehrere Akkus benötigen», ergänzt Ueli Künzi. «Wir haben uns dann für einen fixfertig konfektionierten Koffer entschieden, indem alles vorhanden ist und den wir innerhalb unserer Genossenschaft jedem zur Verfügung stellen können – sozusagen das Wohlfühlset!»

Auch Stalltiere gefährdet

Dass das Aufspüren von Rehkitzen mithilfe von Drohnen kein Hobby einiger flugverliebter Bauern ist, zeigen die zahlreichen Informationen, sei es auf bäuerlichen Portalen oder auch bei Tierschutzvereinen. So ist zu lesen, dass man seit rund acht Jahren diese Variante der Rehkitz-Rettung aus der Luft anwendet. Die Jagdstatistik 2019 vermeldet rund 1780 Rehe, die durch landwirtschaftliche Maschinen gefallen sind, die Dunkelziffer dürfte noch höher sein. Auch die Tierschutzverbände engagieren sich mit Merkblättern und Kampagnen. Dabei steht die Vermeidung des Tierleidens im Vordergrund der Schutz­massnahmen. Ein weiterer Grund ist jedoch auch die Prävention von Vergiftungsfällen beim Vieh, welches das Erntegut später frisst. Gelangen tote Tiere ins Futter, kann sich Botulinumtoxin bilden. Dieses damit verunreinigte Futter kann Stalltiere vergiften.

Wichtiger Erfahrungsaustausch

Die zwei Drohnenpiloten Christian Wyss und Ueli Wintsch haben sich intensiv mit der Drohne beschäftigt und sich ausgetauscht. Ueli Wintsch betont, wie wichtig die Zusammenarbeit mit der Jagdgesellschaft ist: «Wir wissen, welche Parzellen überhaupt von Rehen aufgesucht werden und beobachten, wann die Setzzeit beginnt. Zudem sind wegen Corona mehr Personen im Wald unterwegs als üblich. Daher weichen die Rehe an neue Orte aus.» Durch den Austausch ergänzen sich die Beobachtungen der Bauern und Jäger ideal. «Als Unterstützung für die Jagd sind Drohnen nicht zugelassen – das wäre auch überhaupt nicht in unserem Sinne, die Jagd so zu begehen», stellt Wintsch klar. Positiv ist für die Jäger auch, dass ihnen dank des Aufspürens der Rehkitze die undankbare Pflicht erspart bleibt, das von der Mähmaschine verletzte Rehkitz von seinen Qualen zu erlösen.

Zeit und Überblick

Dass es für die Bedienung und den Ablauf doch auch Übung braucht, bestätigen die beiden Piloten. «Es beginnt mit dem Standort, an dem die Drohne zu fliegen beginnt. Ich muss sie jederzeit im Auge behalten und daher den Standort geschickt wählen. Nicht jeder Acker ist topfeben, sondern teilweise auch abschüssig, da sieht man die Drohne nicht mehr», sagt Wyss. Ebenso sollte die Rettungsaktion schnell gehen, einerseits für das Rehkitz und andererseits wegen der Anzahl Felder, die man abfliegen möchte. «Das Zeitfenster ist nicht sehr lang, in dem die Rehkitze gefährdet sind. Der ideale Flugzeitpunkt ist am frühen Morgen so gegen fünf Uhr», erklärt Wyss. «Ich stehe gern früh auf und man wird mit sensationellen Morgenstimmungen belohnt.» Der Zeitpunkt ist entscheidend, da sich am frühen Morgen die Felder noch nicht aufgeheizt haben und sich dank der Temperaturdifferenz das Rehkitz noch deutlich vom kühleren Boden abhebt. «Man sieht zu Beginn allerlei auf dem Bildschirm – zum Beispiel Igel – und braucht ein wenig Übung, bis man effizienter wird», erklärt Christian Wyss. Startklar sind die Brüttener nun auf jeden Fall – jetzt warten sie gespannt auf den ersten Einsatz.■

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